
Erz aus dem Goldberg
Drehpunktkultur.at
Johann Sebastian Bach auf dem Akkordeon - geht das überhaupt? Oder, anders gefragt: Hat das Sinn? - Eine CD mit Denis Patković.
Da gilt es zunächst einmal, nach dem Instrument zu fragen. Denis Patković spielt nicht auf dem - etwas abwertend so bezeichneten - "Schifferklavier" (bei dem die Bass-Knöpfe jeweils Akkorde erklingen lassen), sondern auf einem Einzelton-Akkordeon. Rechte und linke Hand können also eigenständige Stimmen spielen, Stimmkreuzungen sind möglich.
Übrigens: "Durchschlagenden Zungen", wie sie in einem Akkordeon verwendet werden, hat Abbé Georg Joseph Vogler ein Jahr nach Mozarts Tod erstmals in Orgelpfeifen eingebaut, womit im Prinzip das Harmonium erfunden war. Und damit der von der Physik der Tonerzeugung her näheste Verwandte des Akkordeons. Was nun die "Aria mit 30 verschiedenen Veränderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen" BWV 988 betrifft: Da ist also vom Cembalo die Rede, aber die "Goldberg-Variationen" stehen doch bereits an der Schwelle zu Bachs Spätwerk, bei dem die Wahl des Instruments eigentlich zweitrangig ist. Warum also nicht auf dem Akkordeon? Stefan Hussong unternahm 1988 einen ersten Versuch, sich dieses Opus anzueignen. Sein Meisterschüler, der gleichfalls in Deutschland geborene Denis Patković, folgt ihm. Patković eifert seinem Lehrer nicht bloß nach. Das zeigt neben unterschiedlicher Registrierung die oftmals weit virtuosere Attacke einzelnen Teilen gegenüber. Seine Interpretation zeichnet sich immer wieder durch weit gesteigerte Expressivität aus. Melodische Linien entfalten sich bewusst freier, verlassen das strenge Metrum.
Zusätzlich ließ sich Denis Patković von dem Finnen Jukka Tiensuu vierzehn neue Stücke dazu komponieren. "Erze" hat der Finne diese Stücke genannt, die an genau fixierter Stelle zwischen Bachs Sätze eingefügt werden, diese sozusagen hinterfragend - in gewisser Weise also zeitgenössisches Nachspiel, Ergänzung oder auch verbindende Vorwegnahme. Natürlich könnten Bach-Puristen die Tracks einzeln ansteuern und so die modernen Reflektionen ausblenden. Aber das Neue regt zum Nach- und Mitdenken an und stört nie wirklich.
Da schürfte einer also im Bach-Bergwerk. Die "Goldberg-Variationen" sind durch die Ergänzungen von Jukka Tiensuu zu beinah eineinviertel Stunden Dauer erweitert. Dennoch wirkt dies zu keiner Minute langatmig, geschweige denn langweilig. Dies nicht zuletzt deswegen, weil Denis Patković Variation um Variation durch klangliche Differenzierung, subtil bis kraftvoll energiegeladen, garniert. In einem Konzert in Salzburg, voriges Jahr in der Kollegienkirche, hat man das live hören können.
Horst Reischenböck
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